Creative Creatures
„Wir wollen Kommunikation verbessern“
Interview mit dem Vorstand der antwerpes ag
Mit dem Wechsel des bisherigen CEO Dr. Frank Antwerpes in den Aufsichtsrat hat sich der Vorstand der Kölner Kommunikationsagentur antwerpes 2018 neu aufgestellt. Der bisherige Chief Digital Officer Thilo Kölzer hat den Vorstandsvorsitz übernommen, unverändert geblieben ist die Besetzung der Funktionen des CFO und des CTO mit Philip Stadtmann und Jens Knoop, neu im Vorstand ist der Head of Campaigning, Michael Vorbrink. „Pharma Relations“ sprach mit den antwerpes-Vorständen über die Philosophie der Agentur und über aktuelle Herausforderungen in der Pharma- und Healthcare-Kommunikation.
Meine Herren, die Digitalisierung ist das große Thema, das die Branche umtreibt. Wie sehen Sie die Entwicklung in diesem Bereich?
Thilo Kölzer: Bei antwerpes beschäftigen wir uns schon seit Jahren mit der Frage, welchen Einfluss die Digitalisierung hat und wie man digitale Tools sinnvoll nutzen kann. Viele betrachten die Digitalisierung und alles, was damit zusammenhängt – wie beispielsweise die größere Agilität in den Arbeitsprozessen – als Bedrohung, wir begreifen sie dagegen als Chance.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Veränderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen?
Jens Knoop: Alles wird ein bisschen technologie- und datengetriebener, und damit meine ich nicht nur den Digitalbereich, sondern in allen Bereichen kommen neue Technologien und Tools auf, mit denen man arbeiten kann. Diese schauen wir uns sehr genau an, um das „Best of“ für unsere Zwecke zu identifizieren. Das können Tools sein, die auf Künstlicher Intelligenz basieren und die es uns ermöglichen, unseren Output zu verbessern, zum Beispiel indem sie Visuals daraufhin analysieren, ob sie eine Stopping Power haben oder nicht. In letzter Zeit beschäftigen wir uns auch sehr intensiv damit, wie wir mithilfe von Voice-Assistenten die Kommunikation und Servicequalität unserer Kunden verbessern können.
In letzter Zeit beschäftigen wir uns auch sehr intensiv damit, wie wir mithilfe von Voice-Assistenten die Kommunikation und Servicequalität unserer Kunden verbessern können.Jens Knoop, Vorstand der antwerpes ag
Philip Stadtmann: Wir beschäftigen uns bei antwerpes sehr viel mit innovativen Technologien, auch wenn sie noch nicht in der Breite angekommen sind. Wir betreiben diesbezüglich Forschung & Entwicklung in eigener Sache, um bestmöglich für de Zukunft aufgestellt zu sein. Für uns eröffnet die Digitalisierung in zweierlei Hinsicht Chancen – in Bezug auf den Output unserer Arbeit, aber genauso was die Zusammenarbeit mit unseren Kunden angeht.
Wie verändert sich das Verhältnis zwischen Ihnen als Agentur und Ihren Kunden?
Michael Vorbrink: Wenn wir im Zusammenhang mit der Digitalisierung von Agilität sprechen, dann betrifft das in erster Linie neue Methoden der Zusammenarbeit, die uns näher an unsere Kunden heranrücken lassen. Zum Beispiel gewinnen Tools an Bedeutung, über die man sich in Echtzeit austauschen kann. Es wird alles schneller und effizienter.
Thilo Kölzer: Ich komme gerade aus einem Kunden-Workshop, wo wir uns darüber unterhalten haben, wie wir in dem Projekt zusammenarbeiten wollen. Wir haben uns darauf verständigt, eine gemeinsame Slack- Gruppe einzurichten. Slack ist ein Instant-Messaging-Dienst, der ähnlich wie WhatsApp funktioniert, aber besonders gut für die Kommunikation innerhalb von Arbeitsgruppen geeignet ist. Alle, die an dem Projekt arbeiten, tauschen sich über dieses Tool aus, und dadurch dass der Kunde auch dabei ist, bekommt er alles mit, was mit seinem Projekt zu tun hat. Unsere Arbeit wird transparenter – der Kunde weiß immer, was wir gerade machen. Als Agentur können wir auch nicht mehr sagen, wir melden uns in zwei Tagen mit einer Antwort zu einer bestimmten Frage, sondern der Kunde erwartet, dass wir direkt ein Feedback geben können.
Jens Knoop: Wir haben auch ein Ticketsystem im Einsatz. Der Kunde äußert dort seine Wünsche und Anforderungen, diese fließen dann in den Entwicklungsprozess ein, und der Kunde kann diesen ganzen Prozess mitverfolgen. Bei der bekanntesten agilen Methode, Scrum, vereinbart man beispielsweise einen Sprint von zwei Wochen, und der Kunde bekommt dann während dieser Zeit genau mit, wie gerade der Stand der Dinge ist, wie seine Tickets abgearbeitet werden, und wo es vielleicht Probleme gibt. Wir haben natürlich auch noch viele Kunden, die erst das Endergebnis sehen möchten, aber gerade die jüngeren Marketingverantwortlichen wollen häufig schon während der Entwicklung Einfluss nehmen können.
Ist es nicht unangenehm, wenn einem die Kunden permanent auf die Finger schauen können?
Philip Stadtmann: Das sehen wir genau umgekehrt. Für uns als Agentur ist es vorteilhaft, wenn wir für die Kunden transparent sind und sie sehen, dass man Kreativität nicht mal eben aus dem Ärmel schüttelt, sondern dass eine Menge Arbeit dahintersteckt. Als Agentur tauchen wir nun nicht mehr ab und kommen dann drei Wochen später mit einem Ergebnis wieder an die Oberfläche, und der Kunde will wissen „Was haben die denn die ganze Zeit gemacht?“. So, wie wir agile Prozesse verstehen, kann der Kunde nachvollziehen, wo wir stehen, wie wir orchestrieren und koordinieren. Diese Transparenz ist uns sehr willkommen, weil sie dazu führt, dass der Kunde viel besser nachvollziehen kann, warum an der einen Stelle weniger und an der andere Stelle mehr Zeit benötigt wird – er bekommt einfach ein Gefühl für den kompletten Entstehungsprozess von Marketingmaßnahmen.
Für uns als Agentur ist es vorteilhaft, wenn wir für die Kunden transparent sind und sie sehen, dass man Kreativität nicht mal eben aus dem Ärmel schüttelt, sondern dass eine Menge Arbeit dahintersteckt.Philip Stadtmann, Vorstand der antwerpes ag
Thilo Kölzer: Eine neue, ebenfalls sehr transparente Methode der Zusammenarbeit ist die Co-Creation. Wir als Agentur ziehen uns dabei nicht mehr ins stille Kämmerlein zurück und zeigen dem Kunden irgendwann seine neue Kampagne. Stattdessen gehen wir zusammen mit dem Kunden zwei oder drei Tage lang in Klausur, und währenddessen entsteht eine gemeinsame Kreation. Wenn der Kunde das möchte, kann man dabei auch schon seine Zielgruppe miteinbeziehen. Das wäre vor fünf Jahren noch überhaupt kein Thema gewesen. Da hätte der Kunde gesagt „Ihr seid die Agentur, also macht das mal alleine“. Natürlich sind einige Unternehmen, was das Arbeiten in agilen Prozessen angeht, weiter als andere, aber wir haben sowohl das Mindset als auch die Tools, um das realisieren zu können.
Kann man sagen, dass viele Unternehmen bereits erwarten, dass eine Agentur so arbeitet?
Michael Vorbrink: Von einer Erwartungshaltung würde ich noch nicht sprechen. Eher von einem zunehmend fruchtbaren Boden, auf den solche Angebote bei der Pharmaindustrie fallen. Denn Blockbuster gibt es nicht mehr, stattdessen haben Brandmanager immer zahlreichere Launches zu verantworten, und sie müssen in der Kommunikation alle Kanäle und Medien bedienen können. Das heißt, die Kommunikation ist viel komplexer als früher, und das Ganze hat auch noch eine wesentlich höhere Dynamik. Manches muss heute einfach extrem schnell gehen, und das ist mit Methoden von gestern kaum zu schaffen. Deshalb werden wir unseren Kunden das explizite Angebot machen, bei Bedarf mit einer Art schneller Eingreiftruppe bei ihnen vor Ort zu sein. Auf diese Weise können wir die Problemlösungskompetenz, die wir hier in Köln haben, zum Kunden bringen. Der Produktmanager kann morgens briefen, und zwei Türen weiter arbeiten unsere Leute dann an dem betreffenden Projekt. Abends kann er ihnen über die Schulter gucken und auch schon Marketingleitung und Medical dazu holen. Auf die Art kann man in kurzer Zeit einen großen Schritt nach vorne machen. Es ist bestimmt nicht immer sinnvoll, so zu arbeiten, aber es gibt Situationen, wo das einfach sehr gut passt.
Blockbuster gibt es nicht mehr, stattdessen haben Brandmanager immer zahlreichere Launches zu verantworten, und sie müssen in der Kommunikation alle Kanäle und Medien bedienen können.Michael Vorbrink, Vorstand und Head of Campaigning der antwerpes ag
Thilo Kölzer: Die Zeiten, in denen es zwei große Kampagnen pro Jahr gab, die jeweils monatelang geplant und dann irgendwann ausgerollt wurden, sind einfach vorbei. Während man zu diesen Zeiten möglichst viele Botschaften in eine Kampagne hineinpressen musste, geht es heute um Snackable Content. Die Kunden unserer Kunden sind 365 Tage im Jahr auf deren Webseiten unterwegs oder bekommen regelmäßig E-Mail-Newsletter zugeschickt, und das bedeutet, dass an den Botschaften viel schneller gearbeitet werden muss. Es reicht nicht mehr, jedes halbe Jahr irgendetwas zu aktualisieren. Neben solchen Methoden beschäftigen Sie sich aber auch sehr frühzeitig mit neuen Technologien.
Philip Stadtmann: Wir arbeiten mit neuen Technologien sehr häufig nicht mit einem konkreten Kundenauftrag im Rücken, sondern erschließen sie zunächst für uns selbst. Es ist ganz wichtig, Dinge zu tun, für die man keinen Auftrag hat. Da muss man natürlich zunächst mal investieren, denn als Agentur können wir nicht warten, bis ein Kunde auf die Idee kommt, eine neue Technologie einsetzen zu wollen. Erst wenn wir eine Technologie für uns erschlossen haben, können wir sie auf den Healthcaremarkt übertragen. Es bringt ja nichts, wenn ein Kunde sagt „Die Technologie ist toll, aber ich weiß nicht, was sie mit meinem Markt zu tun hat“. Daher müssen wir eine Technologie nicht nur verstanden haben, sondern eben auch wissen, wie sie sich im Healthcaremarkt sinnvoll anwenden lässt, welchen Nutzen sie stiftet und im Idealfall auch schon konkrete Beispiele zeigen können. Dieses Investment mit einem eigenen Digital Innovation Lab können wir uns aber nur erlauben, weil wir nach wie vor ein sehr gutes Basisgeschäft haben und auch klassische Dinge machen, die sich in den letzten zehn Jahren kaum verändert haben.
Mit welchen innovativen Themen beschäftigen Sie sich?
Jens Knoop: Um zu verdeutlichen, wie wir vorgehen, möchte ich noch einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen. Als 2004/2005 die Tablets auf den Markt kamen, haben wir die ersten direkt aus Südkorea importiert und mit großem Aufwand Software gestrickt, um eDetailings darauf laufen lassen zu können und so das Außendienstgespräch zu verbessern. Ein typischer Fall, wo wir sehr früh dran waren und den Kunden konkrete Anwendungsmöglichkeiten zeigen konnten. Es hat dann aber schon noch gedauert, bis wir erste Kundenprojekte in diesem Bereich realisieren konnten, und als dann die iPads kamen, wurde das Thema zum Selbstläufer – zu diesem Zeitpunkt waren wir aber längst darauf vorbereitet. Das zeigt, dass man manchmal einen langen Atem haben muss, wenn man von den Anwendungsmöglichkeiten einer neuen Technologie überzeugt ist. Die Technologie ist kein Selbstzweck – sie wird dadurch relevant, dass sie Gesprächsführung unterstützt.
Michael Vorbrink: Es gibt viele Agenturen, die sich von Technologie inspirieren lassen, dann aber die Umsetzung outsourcen müssen. Das müssen wir nicht, weil wir inhouse mit eigenem Personal mit neuen Technologien experimentieren. Wir sind absolut überzeugt, dass es so auch besser funktioniert. Alles andere bleibt ein Versprechen, wo ich beim Kunden weggehe und letztlich Angst habe, es nun tatsächlich umsetzen zu müssen. Die haben wir nicht, weil wir genau wissen, wovon wir reden.
Womit experimentieren Sie denn zurzeit?
Thilo Kölzer: Voice-Bots sind für uns ein Riesenthema, auf das wir voll setzen. Als ersten Bestandteil unserer „sprechenden Familie“ haben wir als Patientenservice den Sprechenden Beipackzettel entwickelt. Ihn gibt es also bereits, wir haben auch schon einige Interessenten, aber es gibt noch kein konkretes Projekt. Ich kann bei potenziellen Kunden damit aber sehr selbstbewusst auftreten, denn wir haben ihn bereits realisiert. Wir antizipieren nicht nur, welche Fragen die Hersteller in diesem Zusammenhang stellen könnten, sondern können sie auch beantworten, weil wir die Anwendung fertig in der Schublade haben.
Voice-Bots sind für uns ein Riesenthema, auf das wir voll setzen.Thilo Kölzer, CEO der antwerpes ag
Der Sprechende Beipackzettel ist aber nur das erste Thema in einer ganzen Reihe. Wir haben uns gefragt, wie wir dieses Thema verbreitern könnten und arbeiten nun an Anwendungen für die Fachkommunikation – der Sprechenden Studie und der Sprechenden Leitlinie. Leitlinien sind ja sehr trocken, und auch eine komplette Studie will eigentlich kein Arzt lesen. Wir wollen die Möglichkeit schaffen, dass der Arzt eine ganz konkrete Frage zu einem bestimmten Aspekt stellen kann und genau auf diese dann eine Antwort bekommt – und zwar vom Bot höchstpersönlich.
Welche anderen Technologien halten Sie für den Pharmamarkt für wichtig?
Jens Knoop: Augmented Reality sehen wir als Kerntechnologie, die sich etablieren wird. In diesem Bereich haben wir gemeinsam mit Bayer ein Framework entwickelt, um den Außendienstbesuch oder auch den Messeauftritt effektiver zu machen. Der Arzt bekommt Karten mit einem Code, und wenn er diesen mit seinem Smartphone scannt, bekommt er Informationen zur Indikation oder zum Produkt. Auch dabei geht es wieder um Snackable Content – der Arzt kann sich mal schnell ein bestimmtes Thema anschauen. Das funktioniert aber natürlich auch mit Laieninformationen, wie wir in Großbritannien auf einem Patientenkongress zeigen konnten. Arztpraxen könnten solche Karten beispielsweise im Wartezimmer auslegen.
Michael Vorbrink: Im Bereich Internet der Dinge haben wir die sogenannte „MedMap“ entwickelt: Auf den ersten Blick sieht sie aus wie ein einfaches Stück bedruckte Pappe. In die Pappe ist aber ein Bluetooth-Sender integriert, der mit einer App auf dem Smartphone korrespondiert, wenn bestimmte Flächen auf der Pappe gedrückt werden. Eine konkrete Anwendung haben wir bereits im Bereich Spastik realisiert, denn motorisch eingeschränkte Patienten haben große Probleme damit, kleinteilige Icons auf einem Smartphone anzutippen. Wir denken, dass die MedMap ganz grundsätzlich sehr gut geeignet dafür ist, Patienten spielerisch zu informieren und aufzuklären. Sie ist sehr innovativ, wirkt aber gar nicht besonders technologisch, und genau das macht ihren Charme aus – sie ist sehr einfach zu bedienen.
Thilo Kölzer: Ich möchte noch ein Thema nennen, das unserer Überzeugung nach in Zukunft immens wichtig wird und mit dem wir uns deshalb auch schon sehr intensiv beschäftigen: Die Pharmaindustrie muss sich zunehmend die Frage stellen, wie sie ihr Geschäftsmodell in Zeiten der Digitalisierung anpassen muss. Aus unserer Sicht muss sie darüber nachdenken, wie sie ihre Medikamente mit digitalen Produkten ergänzen kann. Das geht weit über das hinaus, was wir bisher unter „Beyond the pill“ verstanden haben, denn eine Software kann ein richtiger Produktbestandteil sein. Das bedeutet dann eben auch, dass das Produktmanagement sich nicht nur mit tangiblen, sondern auch mit Software-Produkten beschäftigen muss.
Sehen Sie die antwerpes ag denn noch als Kommunikationsagentur? Oder geht das alles schon Richtung Softwareunternehmen?
Jens Knoop: antwerpes steht für Kommunikation. Das, was für uns entscheidend ist, sind die Inhalte. Auf welchem Weg diese Inhalte transportiert werden, ist erst die zweite Frage.
Philip Stadtmann: Wenn es um Marketingthemen geht, dominieren zurzeit digitale Themen die öffentliche Diskussion – einfach, weil es hier unheimlich viel Neues gibt. Wir sind aber nach wie vor genauso im klassischen Bereich zuhause. Es ist unsere DNA, die Kunden 360 Grad aus einer Hand bedienen zu wollen und zu können.
Michael Vorbrink: Mit unseren digitalen Innovationen fangen wir vor allem die mutigen Kunden ein. Diejenigen, die sagen „Wir probieren das jetzt einfach mal aus“, denn die gibt es in der Pharmaindustrie durchaus.
Thilo Kölzer: Natürlich ist Kommunikation mittlerweile auch ein riesengroßes Technologiethema. Aber Technologie ist für uns nur das Mittel, die persönliche Kommunikation zu verbessern. Nur wenn uns das gelingt, können wir unsere Kunden begeistern.
Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch.
Der Artikel ist in Ausgabe 03/2019 der Pharma Relations erschienen.