Back

Trendscout

Krisenkommunikation im virtuellen Vis-a-Vis mit der Netzgemeinschaft

This post is also available in: Deutsch (German)

Ein Blick in die Tagespresse, ins Netz oder den Fernseher genügt, um den Eindruck entstehen zu lassen: Krisen sind allgegenwärtig. Sie haben sich zu einer Art Grundrauschen verselbstständigt und beherrschen den gesellschaftlichen Diskurs in immer neuen Komposita.

Der Terminus Krise ist vielgestaltig. Die Ursachen und Ausprägung, die Folgen und die Konsequenzen ebenfalls. Durch den Anbruch des digitalen Zeitalters hat sich die Situation nochmals verändert. Sie ist nicht zuletzt direkter und persönlicher, sie ist auch zunehmend zu einer neuen kommunikativen Herausforderung geworden.

Trotz einer generell negativen Konnotation stellt sich die Frage, ob Krisen immer nur im Deutungsschema der Destruktion gedacht werden müssen, oder ob sie nicht auch längst Überfälliges aufbrechen und damit Neues entstehen lassen. Die Metaphorik der Krise gründet sich aus dem klassischen Altertum, dem Alten Testament und zahlreichen Sagen. Sie ist im Grunde so alt wie die Menschheit selbst. Sind moderne Gesellschaften – als Synonym für Wandel und Veränderung – dann überhaupt denkbar ohne Krisen? Wie muss die Kommunikation hier ansetzen, um das Potential zu bergen? Und was bedeutet das für das kommunikative Krisenmanagement? Welchen Einfluss hat die Netzgemeinschaft tatsächlich auf die Kommunikation in Krisenzeiten und stellt sie das herkömmliche Krisenmanagement vor einem Paradigmenwechsel?

Die neue Internet-Ära, die Web 2.0 und soziale Netzwerke umschließt, durchdringt jeden Lebensbereich. Sie wandelt die Struktur der Öffentlichkeit. Das Internet hat neben den traditionellen Medienkanälen eine neue Form der Publikative hervorbracht: die Netzgemeinschaft. Sie ist nicht mehr länger bloß Empfänger, sondern durch ein Arsenal von Kommunikationskanälen gleichzeitig auch zum Sender geworden. Innerhalb von Sekunden werden Unternehmensereignisse und -botschaften gelesen, geteilt, kommentiert oder kritisiert. All dies geschieht selbstbestimmt und ohne ideologische Anbindung, aber, wie die Vergangenheit gezeigt hat, oftmals mit durchschlagender Wirkung. Im sozialen Netz wird die Aufmerksamkeit für gewisse Sachverhalte gesteigert und gebündelt. Durch die fehlende prüfende Instanz (Lektorat, Redaktion!) werden Ereignisse oft überzeichnet und emotional gefärbt.

Die Macht der Netzgemeinschaft – viel Lärm um nichts?

Handelt es sich bei der Netzgemeinde also um eine neue Art der Gewalt? Die Macht der Netzgemeinschaft ist treffender als punktuelle Einflussmacht beschrieben. Sie ist an die reale Welt gekoppelt und kann erst durch eine Unifizierung, z.B. in Form eines Shit-Storm, ihre volle Kraft entfalten. Die vernetzten Vielen bilden ein Machtreservoir und besitzen ein Mobilisierungspotential, das durch Dritte oder ‚Kenner mit Reichweite‘ nutzbar gemacht werden kann. So gesehen ist die Netzgemeinschaft ein Seismograph dafür, ob und ggfs. wann ein Unternehmen kommunikativ aktiv werden sollte. Dennoch gleicht die ,digitale‘ Entrüstung eher einer Brandungswelle, die Dauer und Nachhaltigkeit vermissen lässt. Durch die sozialen Netzwerke sind Unternehmen zwar nicht zwingend anfälliger für Krisen geworden, doch kann das intrinsische Krisenrisiko eines Unternehmens, bedingt durch das jeweilige Geschäftsumfeld, durch Social Media signifikant verstärkt werden. Auch hat durch das Internet die Transparenz zugenommen – Unternehmen sind keine ‚Blackbox’ mehr, sie sind exponiert und greifbarer geworden. Auch die Umschlagsgeschwindigkeit, mit der Nachrichten über das Internet an die breite Öffentlichkeit gelangen, hat sich dramatisch erhöht.

Sind die traditionellen Medien jetzt obsolet?

Das Verbreitungsmonopool der klassischen Medien ist durch die wachsende Netzgemeinschaft und den Echtzeit-Informationsfluss aufgebrochen worden. Das Publikum ist nicht mehr länger passiver Empfänger von Einweg-Botschaften und rückt den Begriff der Öffentlichkeit stärker in das Kommunikationszentrum. Dennoch haben die traditionellen Medien nicht an Relevanz verloren. Ihre Rolle vom Nachrichtenübermittler hat sich jedoch gewandelt. Sie sind immer mehr zu Erklärern und Einordnern oftmals emotionaler und unsachlich kommunizierter Vorkommnisse geworden. Für die Krisenkommunikation von Firmen sind sie unabdingbar und ein wichtiger Maßstab – nicht nur der Verbreitung, sondern auch der Objektivität. Daher muss die Kommunikation unbedingt zweigleisig gefahren werden: Neben den herkömmlichen sind auch die neuen Medien einzubeziehen.

Der neue kommunikative Imperativ – always online

Die neuen Medien sind imperativ und verlangen Reaktionen im Sekundentakt. In der Krisenkommunikation, die immer als Wettlauf gegen die Zeit zu verstehen ist, können Unternehmen mit dieser zusätzlichen Beschleunigung der Kommunikationsprozesse kaum mithalten. Die oft komplexen Sachverhalte einer Krise gilt es so zu verdichten und aufzubereiten, dass sie trotz der per se verkürzten Social-Media-Kommunikation die notwendigen Botschaften transportieren. Nur so kann der Gefahr des Kontrollverlustes begegnet und die Deutungshoheit bewahrt werden.

Die betriebliche Krisenkommunikation ist sich des Veränderungspotentials der Netzgemeinschaft durchaus bewusst. Es existieren viele ehrbare Ansätze, doch hat man sich den Social Media noch nicht uneingeschränkt verschrieben. Die Unternehmen sind stärker gefordert, sich von der klassischen Kommunikation – wie sie mit Medienvertretern jahrelang gepflegt wurde – ein Stück weit zu lösen und sich auf die Gegebenheiten des sozialen Netzes einzustimmen. Noch wird eine eher abwartende Position eingenommen. Einer entschlossenen Proaktivität und dem Bekenntnis zu einer ‚Kommunikation von Mensch zu Mensch’ stehen oftmals starre hierarchische Strukturen und gesetzliche Restriktionen entgegen. Botschaften, die vor der Veröffentlichung erst zeitraubende Abstimmungsprozesse durchlaufen müssen, sind nicht mehr social-media-konform.

Aus der Boxengasse in die Pole-Position

Durch ihre disruptive Kraft bedeutet Social Media nicht nur eine Revolution in der Unternehmenskommunikation, sondern eine solche der Kultur des Dialogs schlechthin. Noch ist das Krisenmanagement nicht bei einem Echtzeit-Dialog mit der digitalen Zielgruppe angelangt. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Herausforderung bewältigt werden kann. Im Folgenden seien sechs Vorschläge genannt, wie dieser gelingen kann:

1) Hello, nice to meet you – Dialog auf Augenhöhe

Die Netzgemeinschaft ist zu einem festen Bestandteil der Kommunikation geworden. Für Unternehmen wird es daher immer wichtiger, sich von der einseitigen Kommunikation mit Medienvertretern als alleinigen Vermittlern der Unternehmensbotschaften zu lösen und sich zu öffnen für einen menschlicheren Dialog im virtuellen Vis-a-Vis mit der Netzgemeinschaft.

2) Authentizität statt Perfektionismus

Zwar haben Unternehmen ihre Kommunikation immer mehr professionalisiert, doch wird in den sozialen Netzwerken eher Authentizität als Perfektionismus geschätzt. Somit sollten Unternehmen
•   aufgeschlossen und diskussionsoffen bleiben
•   genau zuhören
•   Veränderungen zu- und sich von Ideen anstecken lassen.

3) Vom Feind zum Freund

Es sind nicht nur die Fans, die durchaus wertvolle Impulse liefern können. Das bezieht sich auch, oder vielleicht sogar besonders, auf Anregungen jener Konsumenten, die negative Erfahrungen mit einem Unternehmen gemacht haben. Gemäß dem Credo der New Economy your worst customer is your best friend können Unternehmen und Kunden voneinander lernen, gemeinsam Probleme lösen, durchaus auch in einem öffentlich geführten Einzeldialog, der authentisch auf andere Nutzer wirkt.

4) Kenne deine Wurzeln

Die Firmenphilosophie und das Geschäftsfeld geben in der gesamten Netzkommunikation den Handlungsrahmen vor. So können rechtliche Fehltritte und Unglaubwürdigkeit durch eine Kommunikation, die in Tonalität und Stil nicht zum Unternehmen passt, vermieden werden.

5) Gemeinsam Spielregeln festlegen

Damit dieser neue Dialog seine positive Wirkung entfalten kann – besonders in Krisenzeiten – bedarf es des Engagements aller Beteiligten. Es sind nicht nur die Unternehmen in der Bringeschuld. Auch der Gesetzgeber und die Netzgemeinschaft sind gefordert, konstruktive Rahmenbedingungen zu schaffen.

Wenn die Netzgemeinschaft auf der einen Seite mehr Offenheit und Transparenz von Unternehmen verlangt, so dürfen Unternehmen auf der anderen auch ein gewisses Maß an Respekt und Sachlichkeit einfordern. Kommunikation ist ein Geben und Nehmen. Das betrifft nicht nur die Verbraucher, die Vertrauen zu Unternehmen aufzubauen lernen. Auch letztere sind gerade erst dabei, in der digitalen Kommunikation Fuß zu fassen und die Tragweite der Veränderungen zu verstehen. Nur durch verbindliche, wechselseitige Spielregeln (Stichwort:„Nettiquette) – also eine nachhaltige Übereinkunft – kann Interaktion, das Herzstück von Social Media, zu einer gelebten Erfahrung werden – in guten, wie in schlechten Zeiten.

6) Wirkungsvolle Metamorphose – von der Fliege zur Spinne

Die sozialen Technologien warten nur darauf, in die Praxis umgesetzt zu werden. Social Media bietet eine bisher nie dagewesene Chance, weltweit mit relevanten Stakeholdern zu interagieren, sie zu Botschaftern des Unternehmens zu machen und dieses als Stimme der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens zu positionieren. Unternehmen können sich so aus ihrer passiven Rolle der ‚Fliege’ befreien, die sich einst im Netz verfing, und zur selbstbestimmten ‚Spinne’ der sozialen Vernetzung werden.

Now you’re talking – KRISE als Aktivitätsprinzip

Um sich die Merkmale der Krisenkommunikation besser einprägen und sie im Ernstfall schneller umsetzen zu können, hat die Autorin ein griffiges Modell definiert. Das (memotechnische) Akronym KRISE steht für eine zeitgemäße Krisenkommunikation. Es wurde bewusst gewählt, um den Begriff nicht mehr länger als unbestimmte Bedrohung, sondern als handhabbares Aktivitätsprinzip zu verstehen. Demnach ist eine gelungene Krisenkommunikation im digitalen Zeitalter durch folgende Attribute gekennzeichnet:

Krise

Eines steht fest: Die Herausforderungen an eine adäquate Krisenkommunikation sind enorm. Aber mit Mut, einem heißen Herz und kühlen Kopf eröffnen die sozialen Technologien das Tor für eine der spannendsten Konversationen, die der Markt je betrieben hat.

Gastautorin: Freya Schulte-Wintrop

Veröffentlicht: 4. May 2016 // antwerpes


Back