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Zurück in die Zukunft – Aus Multichannel wird Multipipe
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Es ist schon merkwürdig mit dem Multichannel-Thema: Ich dachte eigentlich, es sei längst ein alter Hut und nicht mehr der Rede wert und habe mich schon fast gar nicht mehr getraut, darüber zu sprechen, um nicht als antiquiert zu gelten. Doch die Zeiten ändern sich: Multichannel-Projekte im Pharmabereich nehmen an Bedeutung zu, ihre Anzahl wächst und die Budgets steigen. Grund genug, mal wieder einen genaueren Blick darauf zu werfen.
Der Multichannel-Begriff stammt ursprünglich aus dem Handel und beschreibt den strategischen Ansatz, potenzielle Käufer über mehrere Werbekanäle zu erreichen und sie dann auf mehreren Distributionskanälen bestellen zu lassen. Ganz nach dem Motto: „Je mehr Kanäle ich bespiele, umso mehr Personen erreiche ich und je mehr Bestellmöglichkeiten ich anbiete, umso mehr Personen werden letztendlich auch kaufen.“
Ein einfaches und allseits bekanntes Beispiel für eine umfassende Multichannel-Strategie: Der IKEA-Katalog. Dieser wird möglichst breit an viele verschiedene Haushalte verteilt. Interessierte Personen bestellen dann über das Endgerät ihrer Wahl online und lassen sich die Ware liefern oder checken die Verfügbarkeit und holen die Ware im nächsten Einrichtungshaus selbst ab. Multichannel bedeutet hier vor allem ein „zur Verfügung stellen“ verschiedener Plattformen, Infrastruktur, Technologie und Logistik. Sind alle diese Elemente vorhanden, bedarf es der Aktivierung vieler Personen durch Werbung. Natürlich kommt in diesem Beispiel noch der Faktor „Erfolgsgeschichte“ hinzu. IKEA ist eine feste Institution und die meisten Käufer würden wohl auch ohne Multichannel-Marketing weiterhin dort einkaufen.
Was aber, wenn eine Marke zunächst überhaupt eine gewisse Bekanntheit erlangen muss? Wenn nur sehr wenige oder nur ganz spezielle Personen als Zielgruppe infrage kommen oder man gar nicht so genau weiß, wie sich diese Zielpersonen überhaupt erreichen lassen? Und – ganz wichtig – wenn diese Personen nicht mal wissen, wofür eine Marke überhaupt steht? Um das Ganze noch zu verschärfen: Wie geht man am besten vor, wenn man – wie im verschreibungspflichtigen Bereich – keine Waren zu verkaufen hat und eigentlich nur die Werbekanäle bespielen kann?
In einem solchen Szenario müssen die relevanten Touchpoints ermittelt, ausgewählt und aktiviert werden und man muss sich eine „Tauschwährung“ überlegen, die auf Multichannel bezogen Sinn macht. Im Pharma- und OTC-Sektor, der sich an medizinisches Fachpersonal im Allgemeinen richtet, könnten das z. B. produktbegleitende Services und Dienstleistungen (angeboten von der Industrie) sein, die gegen Erreichbarkeit und Interaktion (seitens des Fachpersonals) „eingetauscht“ bzw. kostenlos zur Verfügung gestellt werden und möglichst Mehrwerte liefern.
Multipipe: Nicht der Kanal sondern der Inhalt zählt
Das Multichannel-Konzept ist mittlerweile über 10 Jahre alt und hat sich damit eine Generalüberholung verdient. Warum? Weil es an manchen Stellen zu starr und zu eindimensional ist und die einzelnen Kanäle gerade bei kleinteiligen Nischen- und Spezialthemen besser orchestriert und miteinander verzahnt werden sollten. Aus diesen Überlegungen heraus haben wir den Multipipe-Ansatz entwickelt. Mit Hilfe von Multipipe senden wir die relevante Message zur richtigen Zeit über eine Vielzahl flexibler, miteinander verknüpfter „Pipes“ (kleine Rohrleitungen anstelle großer Kanäle) aus und können zuvor gesetzte Ziele hinsichtlich Kontaktfrequenz und Konversionsraten besser aussteuern.
Dieses Prinzip passt wesentlich besser zum Online-Geschehen von heute: Inhalte müssen sich auch als Schnipsel versenden lassen können (z. B. beim Social Messaging), auf User-Kommentare muss in Echtzeit reagiert werden können und Customer Journeys müssen ständig neu geschrieben und modifiziert werden.
Das Multipipe-Konzept funktioniert dabei bildlich gesprochen so: In einem großen Tank werden zunächst alle Informationen und Inhalte, die zu einem Medikament verfügbar sind und genutzt werden können, gesammelt und analysiert. Dazu zählen Produktmonografien, Fachinformationen, Studien, Publikationen, Abstracts, Artikel, Folder, Websites, Werbematerialien und alles andere, was aktuell ist. Um diese Inhalte mit den Bedürfnissen der Zielgruppe in Einklang zu bringen, werden Erfahrungswerte, eigene Beobachtungen, Marktforschungsdaten (interne und externe) oder Tendenzaussagen einzelner Personen aus der Zielgruppe herangezogen, also Zielgruppen-Insights generiert.
In der Raffinerie wird dann anhand dieser Zielgruppen-Insights ermittelt, welcher Inhalt in welchem Format zu welcher Zielperson passt. Anschließend müssen bereits raffinierte Inhalte in die richtigen Rohrleitungen („Pipes“) gebracht werden, damit sie zu den Zielpersonen gelangen und dort ihre Wirkung entfalten können. Gegebenenfalls werden noch bestimmte Additive hinzugefügt, die einen Inhaltsbaustein für die Zielgruppe attraktiver machen. Ein umfassendes, miteinander verwobenes Netz an Pipes sorgt dafür, dass Inhalte im richtigen Format und in der richtigen Verfassung beim Empfänger ankommen und dieser die Inhalte auch wirklich erhalten möchte.
Die 4C: Catch – Connect – Close – Continue
Bei jedem zur Verfügung stehenden Touchpoint findet das 4C-Prinzip Anwendung. Auf eine simple E-Mail übertragen bedeutet dies:
Catch: Wie kann ich die Aufmerksamkeit einer Zielperson erregen? Zum Beispiel durch eine E-Mail-Betreffzeile, die auf den Punkt kommt.
Connect: Wie kann ich eine Verbindung zur Person aufbauen? Zum Beispiel durch ein bewegendes Bühnenbild im oberen Drittel der E-Mail.
Close: Wie kann ich eine Konversion erzeugen? Zum Beispiel durch eine optimale Usability und klaren Aufforderungscharakter.
Continue: Wie kann ich die begonnene User Journey verlängern? Zum Beispiel, in dem ich ergänzende Inhalte anbiete, die maximal einen Klick entfernt sind.
Die Mathematiker unter den Lesern dieses Artikels werden jetzt folgendes einwenden: Nehmen wir als Beispiel 20 verschiedene Formate (z. B. Pressemeldung, Advertorial, AdWord) und 6.000 Zielpersonen (z. B. eine bestimmte Facharztgruppe), so erhalten wir unzählige Kombinationsmöglichkeiten. Darüber nachzudenken, welches Format zu welcher Zielperson passt, verschlingt viel Zeit und Energie. Und genau dafür gibt es Datenbanken und Software, die einem viel Arbeit abnehmen können – vorausgesetzt, sie sind richtig konfiguriert. Entscheidend sind der konzeptionelle Vorbau und die klare Definition der KPIs.
Neben der Datenlage, deren Interpretation und Auswertung zählen auch die softwaregesteuerten Prozesse im Hintergrund zu den Fundamenten von Multipipe-Aktivitäten. Da es in diesem Artikel jedoch um Kommunikation und Kampagnen gehen soll, werde ich diesen technischen Teil hier nicht näher beleuchten.
Create and conquer!
Bei all den Prozessen könnte man fast meinen, die Entwicklung kreativer Kommunikationsideen spiele keine Rolle mehr, da ja alles in geordneten Bahnen (oder besser gesagt: Pipes) verläuft. Aber weit gefehlt – Kreativität ist wichtiger denn je. Die kommunikative Leitidee einer Multipipe-Kampagne sorgt für deren Wiedererkennbarkeit über alle Pipes hinweg. Sie fungiert quasi als Vermittler „zwischen den Welten“. Eine Rolle, deren Bedeutung mit der Anzahl der Pipes innerhalb einer Kampagne steigt. Daher wird auch die Kreation zukünftig durch starke Tools unterstützt und teilweise automatisiert werden müssen.
Jetzt geht’s los!
Fünf Punkte, die bei der Planung von Multipipe-Projekten berücksichtigt werden sollten:
1.) Multipipe ist strategisch
Auch wenn die Umsetzung durchaus kleinteilig anmutet und sehr von der Taktik innerhalb der einzelnen Elemente angetrieben zu sein scheint, ist die Denke dahinter als Strategie zu verstehen. Es geht nebenbei auch noch um den Aufbau und Nutzung von CRM-Daten(banken). Daher muss das Thema „hoch aufgehangen“ sein.2.) Multipipe ist Mikromarketing
Website, Microsite, Landing Page, Content-Schnipsel. Dieser beispielhafte Vierklang macht deutlich, dass viele kleinere, dafür aber genauere Maßnahmen ins Kalkül gezogen und realisiert werden müssen.3.) Multipipe lebt von guter Planung
Schnellschüsse verpuffen auch schnell. Multipipe-Projekte müssen gut geplant, Eventualitäten antizipiert, Reaktionen in Echtzeit ausgeführt werden. Planungszeiträume von 3 – 6 Monaten werden keine Seltenheit sein.3.) Multipipe muss kreativ umgesetzt werden Bei allen zugrunde liegenden Daten, Tools und Plänen darf die Entwicklung kreativer Kommunikationsideen nicht vergessen werden. Sonst wirkt das Ganze zu technisch, zu unpersönlich und zu systemgetrieben; s.a. den Absatz „Create and conquer!“
5.) Multipipe lebt vom Mitmachen
Nicht immer sollte so streng selektiert werden, dass am Ende jeder Teilnehmer per Handschlag begrüßt werden kann. Lieber sollte mit einer breiteren Zielgruppe begonnen werden, die dann im Laufe des Prozesses nachqualifiziert wird.
Thilo Kölzer ist Mitglied des Vorstands bei antwerpes und verantwortlich für die Bereiche Digital, Mobile, Performance Marketing und Internet-of-Things.