Trendscout
Wo bleiben die Pharmamarken?
Die Krise als Chance für Marken sich ein Profil zu geben
Corona schränkt uns alle ein, seit Wochen. Gleichzeitig eröffnet das Virus Chancen, zum Beispiel für den Markenaufbau. Welche neuen Spielräume bieten sich hier den Pharmaunternehmen? Antworten auf diese Frage liefert antwerpes Vorstand und Head of Campaigning Michael Vorbrink im ersten Beitrag der Reihe “So You Think You Have a Pharma Brand”.
Ritter Sport hat es vorgemacht. Mit der Aktion #Alltagsritter zeigt das Unternehmen, dass es sich dem gesellschaftlichen Engagement und Zusammenhalt verpflichtet fühlt: Seit Anfang April konnte man seinen Alltagshelden nominieren, eine Person, die in der Krise einer besonders hohen Belastung standhält. Mit etwas Glück bekam der „Alltagsritter“ dann die Schokolade in der „Knusper Held Edition“ zugeschickt.
Ritter Sport hat erkannt, dass die Corona-Krise der perfekte Spielraum für authentisches Purpose Driven Marketing ist, also eine Form des Markenaufbaus, der weggeht von der plumpen Präsentation des Produkts und dafür den gesellschaftlichen Beitrag des Unternehmens in den Fokus nimmt.
So geht’s – so nicht
Um die Effektivität dieses Marketingtrends zu erkennen, hilft es, sich anzusehen, wie man es besser nicht machen sollte. Adidas hat die Corona-Krise nicht etwa genutzt, um sich als engagiertes, mitdenkendes Unternehmen darzustellen. Nein, der milliardenschwere Weltkonzern hatte angekündigt, die Zahlung der Mieten einzustellen. Das Image des egoistischen Unternehmens, das in schweren Zeiten seine Ellbogen zeigt, wird es so schnell wohl nicht wieder los.
Dabei ist es doch gar nicht so schwer, sich mit nachhaltiger Wirkung ein positives Markenimage aufzubauen, indem man gerade in der Ausnahmesituation Haltung zeigt. Man muss sich einfach nur in seine Zielgruppe einfühlen, nachempfinden, wie sie die momentane Situation erlebt und ihr Respekt zollen – wie Douglas in seinem emotionalen Video zum Muttertag.
Aber es muss auch nicht immer die Tränendrüse sein. Gerade in schwierigen Zeiten bringt es einem Unternehmen Image-Pluspunkte, wenn es den Menschen ein Lächeln auf die Lippen zaubert. So zeigt sich Edeka in seinem Dankeschön-Video ganz verspielt.
Burger King Frankreich präsentiert mit einem Augenzwinkern die Zutaten für den „Le Whopper de la Quarantaine“ und stellt sich damit gleichzeitig als solidarisches Unternehmen dar, das seine kulinarischen Geheimnisse in schweren Zeiten gerne mit seinen Kunden teilt.
Raus aus der Komfortzone – Welche Chancen der Pharmaindustrie gerade entgehen.
Purpose Driven Marketing sollte in der Healthcare-Branche selbstverständlich sein, sollte man zumindest annehmen. Schließlich werden hier doch Tag für Tag Medikamente entwickelt, die Krankheiten heilen oder die Lebensqualität von Menschen verbessern. Mehr Purpose geht doch gar nicht.
Und die Pharmaunternehmen werden aktiv in der Krise – so ist es nicht: Klosterfrau stellt Desinfektionsmittel her, Roche verschenkt Schnelltests an China, Jansen Cilag und Bristol Myers Squibb stellen medizinisch ausgebildete Mitarbeiter frei, damit sie sich im Kampf gegen Corona einsetzen können und Pharmariesen wie Novartis und Boehringer Ingelheim haben sich zusammengeschlossen, um Medikamente für die COVID-19-Therapie bereitzustellen.
Aber fällt Ihnen etwas auf?
Die Pharmakonzerne bleiben in ihrer Komfortzone. Sie greifen in der Krise auf das Naheliegendste zurück: Ihre Infrastrukturen und ihr medizinisches Know-How. Und damit kommen sie nicht nahe genug an die Menschen ran. Nur die Marken, die auf die ganz alltäglichen Corona Sorgen und Nöte, eingehen, sie sehen und ernst nehmen, nutzen die Chance der Krise richtig und nachhaltig.
Jede echte Pharmamarke sollte sich jetzt fragen, ob sie einen spürbaren Beitrag für die Menschen leisten kann. Dabei sollte jede Marke natürlich ihre Zielgruppe im Blick haben. Ein Hersteller von Hustensaft für Kinder könnte sich Gedanken darüber machen, wie er Familien im Corona-Homeschooling-ohne-Großeltern-Wahnsinn unterstützt. Der Produzent eines Präparats gegen Gelenkbeschwerden könnte sich eine Aktion einfallen lassen, dank der sich ältere Menschen in der Krise weniger einsam fühlen. Und es gibt noch mehr Möglichkeiten.
Mit einem solchen Beitrag, wird jede Pharmamarke nachhaltig zu einem treuen Begleiter.
Pharmaunternehmen sollten endlich kreativ werden und sich auf unbekanntes Terrain begeben. Nur so nutzen sie die aktuelle Krise wirklich als Chance, um ihr Image oder das ihrer Marke mit positiven Werten aufzuladen.
Autor
Michael Vorbrink ist seit September 2014 bei der antwerpes ag und damit immer noch ein Pharma-Rookie. Damals legte er ein Büchlein mit dem Titel „So You Think You Have a Pharma Brand“ an und notierte dort seine Beobachtungen zum Pharma-Marketing. Seitdem sind einige Healthcare-Kampagnen entstanden, in die er seine Erfahrung aus der Arbeit mit T-Mobile, Nestea und der Markenikone Braun eingebracht hat. Er ist Dozent für Markenmanagement an der Rheinischen Fachhochschule Köln und will in seinen Beiträgen Spielräume für Healthcare-Marken aufzeigen. – Kontakt