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Die PEAK-Formel für Marketing in ungewissen Zeiten
2022 war ein besonderes Jahr für das Healthcare-Marketing – doch wie geht es im Jahr 2023 weiter? Denn „besonders“ werden die Zeiten auf jeden Fall bleiben. 4 Ansätze halte ich deshalb in den kommenden Jahren für besonders wichtig, um auch die nächsten Marketing-Gipfel zu erklimmen.
Machte sich ganz zu Beginn des Jahres 2022 leicht positive Aufbruchstimmung breit, dank der Aussicht, eine Pandemie könnte so langsam überstanden sein, wurde diese positive Grundstimmung im Februar durch den beginnenden Ukraine-Krieg jäh unterbrochen – und weitere Krisen kommen oder befinden sich im fortgeschrittenen Stadium. Ich will hier jedoch nicht die allgemeine Weltlage erörtern, sondern meinen Blick auf das Marketing im Healthcare-Sektor richten.
Neben den allgemeinen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten stehen ja auch noch konkrete Dinge im Raum, wie die Schließung der Finanzlücke der Gesetzlichen Krankenversicherung für 2023. Dazu hat das Bundesgesundheitsministerium einige Maßnahmen beschlossen, u.a. eine einmalige Solidarabgabe der Pharmaunternehmen in Höhe von einer Milliarde Euro, sowie „Effizienzverbesserungen“ im Umfang von drei Milliarden Euro.
Ich muss also kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass z.B. die Pharmaunternehmen in 2023 unter Druck geraten werden, zumindest bei einigen Rahmenbedingungen, die dem Markt aufoktroyiert werden (von möglichen Lieferengpässen oder steigenden Energiekosten gar nicht zu reden).
Ein solcher Druck hat sehr wahrscheinlich auch Konsequenzen auf die Positionierung von Unternehmen, deren Marktauftritt, Marketing und die zugrundeliegenden Budgets.
Apropos Marketing: Die ungewisse Zukunft erschwert es natürlich ungemein, die richtige Marketing-Strategie, -Taktik oder die geeignete Customer Experience zu antizipieren und zu entwickeln – doch es bieten sich, trotz oder wegen dieser Ungewissheiten, auch große Chancen.
Wir befanden uns im jahr 2022 auf einem relativ hohen “arbeitsniveau”, welches vor drei jahren noch nicht mal in reichweite war.”
Zur Erinnerung: Die letzte große Krise, ich nenne sie mal die „Corona-Krise“, begann im März 2020 und hat die Innovationen im Marketing nicht nur beschleunigt, sondern regelrecht nach vorne katapultiert. Das bedeutet wir befinden wir uns im Jahr 2022 auf einem relativ hohen „Arbeitsniveau“, welches vor drei Jahren noch nicht mal in Reichweite war. Mittlerweile sind neue Krisen und Unsicherheiten entstanden, die uns weiter antreiben werden. Da aber eben vieles ungewiss ist, sind Ansätze zu entwickeln, die praktisch universal einsetzbar sind.
In den nächsten drei Jahren erachte ich folgende Themen für besonders wichtig, die ich als die „PEAK-Formel fürs Healthcare-Marketing“ zusammenfasse:
1.) Patchworkmarketing
2.) Effizienz
3.) Agilität
4.) Kreativität
Patchworkmarketing – den Überblick behalten im „infinite game“
„Patchworkmarketing“ ist keine neue Marketinggattung, die ich erfunden, sondern ein Label, welches ich diesem Phänomen verpasst habe: Die extreme Kleinteiligkeit, die sich bei fast allen Marketingaktivitäten ihren Weg bahnt. Stellvertretend dafür steht natürlich die Social-Media-Kommunikation. Der kleinste Marketingpartikel heißt „Post“: Ein Zweizeiler mit Meme (als Internet-Pionier war ich schon versucht, hier „Thumbnail“ zu schreiben 😉 ). Gab es vor ein paar Jahren noch einige wenige “Marketing-Monolithen”, wie z.B. ein wichtiger Kongress, eine große Kampagne oder eine große Markteinführung, sind es nun eine Vielzahl von Posts, E-Mails, Interaktionen „on the go“, Quizzes, Content-Happen, eLearning-Modulen, Bannern, NFTs u.v.m.
Darauf müssen sich alle Beteiligten, Auftraggeber als auch Marketingdienstleister aka Agenturen einstellen. Klare Vorteile der kleinteiligen Marketing-Kommunikation sind: Schnelligkeit, Spritzigkeit, Flexibilität.
Klare Herausforderungen des Patchworks: Überblick behalten, Freigaben managen, nie fertig sein (quasi als neues Mindset).
Mit „Überblick behalten“ ist nicht nur das rein Quantitative gemeint. Im Patchwork kann auch eine wohl überlegte Strategie verloren gehen oder zumindest verwässert werden. Ein Kommunikationsplan, der nur noch aus zusammenhanglosen Partikeln besteht, kann leicht verpuffen.
Effizienz – an den richtigen Schrauben drehen
„Effizienz“ ist zwar seit Dekaden Dauerbrenner, wird aber in den nächsten drei Jahren sicherlich nochmal an Wichtigkeit zunehmen. Wenn Kosten- und Zeitdruck generell zunehmen, wird mehr an der Effizienzschraube gedreht werden müssen – mit direkten Konsequenzen für die Art der Zusammenarbeit, Zeitpläne und natürlich Budgets. Alleine das beidseitige, konsequente Nutzen von digitalen Tools für Korrekturschleifen u.Ä. wird ein paar Prozent bringen. Größere Erfolge wird man allerdings mit größeren Maßnahmen erzielen können. Ich habe dazu folgenden Vorschlag: Die Bündelung mehrerer (Produkt-) Etats bei ein und derselben Agentur wird schätzungsweise 10-20 budgetschonende Effizienzprozente bringen. Ich meine vor allem Etats innerhalb eines Indikationsbereiches, in dem es nicht selten 2-5 Produktlinien gibt, die unterschiedlich positioniert sind und die im Rahmen des Lifecycle-Managements unterschiedlich eingesetzt werden und mit unterschiedlichen Botschaften am Markt agieren. Zwei bis fünf Produkte bedeuten eben meist zwei bis fünf Produktetats. Durch Bündelung bei einer Agentur muss Wissen nicht mehrfach parallel aufgebaut werden, es wird deutlich weniger Kommunikationsstränge geben und weniger Dienstleister werden koordiniert werden müssen. Letzten Endes wird in der Folge jeder Etat vom Budget her und für sich genommen kleiner werden. Für die betreuende Agentur bedeutet es jedoch ein absolut höheres Projektvolumen, wenn man die beschnittenen Einzeletats addiert. Bestenfalls entsteht so eine Win-Win-Situation bei signifikant höherer Effizienz.
Bestenfalls entsteht eine Win-Win-Situation bei signifikant höherer Effizienz.
Agilität – Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen
Mit „Agilität“ meine ich in diesem Fall nicht bestimmte agile Methoden, die einem Lehrbuch oder Manifest entsprungen sind. Ehrlich gesagt erscheint mir vieles in diesen Agilitätsbibeln zu starr und dogmatisch. Ich sehe das Risiko, dass sich ganze Projektteams irgendwann so in ihrem „Agilitätstrott“ mit fest geplanten Sprints befinden, dass sie gar nicht mehr mitbekommen, was sich außerhalb ihrer Projektblase so tut. „Agilität“ in Unternehmen wird übersetzt mit Gewandtheit, Wendigkeit oder Beweglichkeit. Und darum geht es mir in diesem Beitrag: Eine agile Organisation muss quasi täglich in der Lage sein, zu reagieren und sich zu ändern („sich neu erfinden“ wäre ein Regalfach zu hoch gegriffen).
Und damit wäre ich auch schon beim „Data-driven Marketing“ angelangt. Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn Auftraggeber und Auftragnehmer, Hersteller und Agentur, einmal pro Woche gemeinsam auf ein Datendashboard schauen, welches alle Marketing-relevanten Daten enthält, ergänzt um Branchen-News, Marktveränderungen, Marktzahlen, Stimmen aus der Zielgruppe, Influencer-Meinungen und so weiter…
Und dann stelle ich mir vor, wie es wäre, daraus sofort und im Wochenrhythmus Handlungen abzuleiten, Entscheidungen von letzter Woche zu ändern, Glaubenssätze zu hinterfragen und Dinge, die mal Geld gekostet haben, einfach wieder auf „on hold“ zu setzen.
Meine Vorstellungskraft mag noch nicht bis zum Ende reichen, aber so etwas in der Art wäre gelebte Agilität – versehen mit hoher Schnelligkeit und sehr nah am Geschehen.
Die gute, alte Kreativität – wichtiger denn je
Als Sie weiter oben das Wort „Kreativität“ gelesen haben, dachten Sie bestimmt: „Klar muss eine Agentur von Kreativität sprechen, davon lebt sie ja schließlich. Da ist zwar was Wahres dran, es ist aber nicht der Hauptpunkt, warum ich hier und jetzt über Kreativität schreiben möchte. Es gibt nämlich Trends und Tendenzen im Marketing, die Kreativität sogar verhindern, wenn man sie nicht beherrscht.
Wenn alle nach Effizienz streben, bleibt das gewisse Etwas womöglich auf der Strecke.
Die Sache ist die: UX, Effizienz und Datengetriebenheit sind zwar hochmodern, aber per se keine Kreativdisziplinen. Und diese und andere Begriffe aus dem Digitalisierungskosmos (so sehr ich die auch mag) fördern nicht unbedingt die Kreativität in uns. Verglichen mit der Automobilbranche wäre das ungefähr so, als würden alle Hersteller ihre Karosseriedesigns nur am cW-Wert (Luftwiderstandsbeiwert; das Maß für die Windschlüpfrigkeit eines Fahrzeugs) ausrichten. Es würde dann nicht lange dauern und alle Autos sähen gleich aus oder zumindest sehr ähnlich. Die Unterscheidbarkeit zwischen Marken und Modellen würde stark leiden. Genauso ist es in der Kommunikation: Wenn ich alle Apps nach denselben UX-Regeln gestalte, sehen eben auch alle Apps ziemlich gleich aus. Wenn alle nach Effizienz streben, bleiben das gewisse Etwas oder der „Twist“ womöglich auf der Strecke.
Ich plädiere sehr dafür, den Kreationsprozess zu optimieren und zu beschleunigen, z.B. durch den Einsatz geeigneter Software-Tools, die mit echter Künstlicher Intelligenz funktionieren und Visuals in Sekundenschnelle einer Blickverlaufsanalyse unterziehen, Texte automatisch so umformulieren, dass sie für die Zielpersonen besser passen und durch das algorithmische Generieren von Bildmotiven eine echte Inspirationsquelle darstellen. Wir sollten nur nicht den Fehler machen, einen „kreativ angelegten Prozess“ mit der eigentlichen Kreation zu verwechseln. Oder programmatisch ausgesteuerte Werbemittel ganz selbstverständlich als „kreative Werbung“ zu begreifen.
Ich bin mir sicher, dass wir mit „PEAK“ den nächsten Marketing-Gipfel erklimmen werden können und freue mich auf ein herausforderndes Jahr 2023!
Autor
Thilo Kölzer ist CEO der antwerpes ag und berät Healthcare- und Pharmaunternehmen bei ihrer Digitalen Transformation. Seine langjährige Erfahrung in der digitalen Marketing- und Werbebranche macht ihn zu einem „Internet Explorer“ der ersten Stunde. Digitale Strategien, User Experience, Werbung und Suchmaschinenmarketing gehören ebenso zu seinem Kompetenzspektrum wie aktuelle Themen: Seamless Experience, Marketing Automation, Omnichannel, Virtual Reality, Augmented Reality, Web Apps, Bots und mehr. – Kontakt
Bild: © Pixabay (Pexels)